Mit hundert Jahren moderner denn je: Die August-Hinrichs-Bühne hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mutig neue Wege eingeschlagen. In der aktuellen Spielzeit gibt’s erneut ein besonderes Format.

Mit dem Jubiläumsstück „Hunnert“ feiert die August-Hinrichs-Bühne ihre Kooperation der niederdeutschen Bühne mit dem Oldenburgischen Staatstheater seit 1923. Und was wohl nur die wenigsten Hundertjährigen schaffen, gelingt hier: Das Theater wird immer moderner. Drei Inszenierungen pro Spielzeit bringt das Ensemble auf die Bühne, von Schenkelklopfern „op platt“ keine Spur. Im Gegenteil: Mit Kinohit-Adaptionen wie „Teemlich beste Frünnen“ (Ziemlich beste Freunde) 2021 oder „De Vörnaam“ (Der Vorname) in dieser Spielzeit weckt die Bühne das Interesse an der niederdeutschen Sprache auch bei der jüngeren Generation.

Keine Nachwuchssorgen

Das ist vielleicht ein Grund, warum sich die August-Hinrichs-Bühne keine großen Sorgen um den Nachwuchs machen muss. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind zwischen 20 und Mitte 70, rund 40 Aktive auf und hinter der Bühne sorgen für einen reibungslosen Spielbetrieb. Wie groß deren Einsatz ist, macht Bühnenleiterin Petra Bohlen deutlich: „Niemand von uns ist hauptberuflich Schauspieler, wir spielen aus Leidenschaft.“ Und das bedeutet, in den Wochen vor Aufnahme eines neuen Stücks nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag noch für drei Stunden auf der Bühne zu proben – fünf Abende in der Woche. „Und direkt vor der Premiere zusätzlich samstags“, erklärt die Bühnenleiterin, die im „echten Leben“ Standesbeamtin ist. Beratende Unterstützung bekommt das Team von den Profis des Staatstheaters, auch der Regisseur ist grundsätzlich vom Fach. „Das ist ein sehr schönes Miteinander. Nur so können wir diese Professionalität herstellen, die unsere Bühne ausmacht“, so Bohlen.

Im Fernsehen

Die Fernsehübertragungen des Ohnsorg-Theaters kennen viele, dass aber auch die August-Hinrichs-Bühne Fernsehpräsenz hatte, ist weitgehend in Vergessenheit geraten: Von 1963 bis 1967 strahlte das ZDF die Stücke des Oldenburger Ensembles aus, 1978 und 1979 waren noch einzelne Stücke im NDR zu sehen. „Die Schauspieler waren richtig prominent. Wenn sie beim Kramermarktsumzug dabei waren, wurden sie von den Oldenburgern regelrecht bejubelt“, weiß Petra Bohlen.

Erfolgsrezept: Die August-Hinrichs-Bühne setzt auf moderne Stücke in niederdeutscher Sprache (hier „Teemlich beste Frünnen/Ziemlich beste Freunde“ nach dem gleichnamigen Film). Bild: Stephan Walzl

Schauspielpreise

Von 1975 an öffnete sich die August-Hinrichs-Bühne vorsichtig auch modernen Stücken mit zeitgemäßen Themen. Initiator dieser mutigen Wandlung war der damalige Bühnenleiter Günther Kühn. Als er nach zwanzig Jahren den Staffelstab an Herwig Dust übergab, setzte dieser den Weg seines Vorgängers zielstrebig fort. Ob Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“, „Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann oder „Gesche Gottfried“ von Rainer Werner Fassbinder – die August-Hinrichs-Bühne etablierte sich als modernes Ensemble mit einer traditionsreichen Sprache und wurde für ihre Inszenierungen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem siebenmal mit dem Willy-Beutz-Schauspielpreis.

Eine Herzenssprache

„Um Platt ist gerade ein echter Hype entstanden“, weiß Petra Bohlen. Das kommt zweifellos auch der August-Hinrichs-Bühne entgegen. Nicht jeder Schauspieler, der hier anheuert, kann schon vorher „Platt schnacken“. „Man lernt es wie eine Fremdsprache – und lernt es lieben“, sagt sie. Denn: „Platt ist eine Herzenssprache, einfach und unverfälscht.“ Dennoch gibt es nur wenige moderne Theaterstücke, die auf Plattdeutsch verfasst werden. Üblicher ist es, hochdeutsche Bühnenfassungen in die niederdeutsche Sprache zu übertragen. „Hier stehen wir im regelmäßigen Kontakt mit dem Ohnsorg-Theater und tauschen in Kooperation auch mit dem Jungen Staatstheater Inszenierungen als Gastspiele aus“, erzählt Petra Bohlen. 

Eigene Sparte

Auch die Generalintendanten erkannten das Alleinstellungsmerkmal der niederdeutschen Bühne für das Oldenburgische Staatstheater. Markus Müller band während seiner Amtszeit von 2006 bis 2014 die August-Hinrichs-Bühne durch die Einrichtung der Sparte „Niederdeutsches Schauspiel“ noch enger in den Spielbetrieb des gesamten Theaters ein, auch der derzeitige Intendant Christian Firmbach hält an dieser inzwischen etablierten Struktur fest. Im Laufe der Zeit konnte die niederdeutsche Bühne noch weitere Angebote entwickeln, etwa die Theaterclubs, die so genannten Platt’n’Studios, für alle Altersklassen. „Die Gründung einer eigenen Sparte war für uns ein zusätzlicher Push – das hat unsere Arbeit weiter professionalisiert“, blickt Petra Bohlen zurück.

Für Bars und Kneipen

Auf der Bühne im Kleinen Haus laufen die Proben im Moment wieder auf Hochtouren. Am kommenden Samstag, 21. Oktober, feiert das Jubiläumsspektakel „Hunnert“ Premiere. Im März geht es mit „De Vörnaam“ weiter, im April mit „Robinson Crusoe“. Und mit „Schluck’s runner“ wagt die August-Hinrichs-Bühne Ende dieses Jahres wiederum ein neues Format: Das Thekengespräch dreier Männer über Frauen, Geld und Fußball soll in Bars und Kneipen gespielt werden. Den Anfang macht das „Amadeus“ am 30. November.

aus: NWZ Online: 13.10.23 Anke Brockmeyer