Bitterböser Humor zündet auch auf Platt
„De Vöörnam“ hat im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters Premiere gefeiert. Das fünfköpfige Ensemble begeisterte in einem tempo- und pointenreichen Kammerspiel.
Der Herausforderung, auf der Theaterbühne gegen gleich zwei starke Verfilmungen (Le Prénom, 2012, und Der Vorname, 2018) anzuspielen, muss man sich erst einmal stellen! Denn nicht gering ist die Gefahr, dass wenigstens eine der wirkmächtigen Vorlagen parallel zur Vorstellung im Kopf des Zuschauers abläuft und für nicht unbedingt positive Vergleiche herangezogen wird. Der Niederdeutschen Bühne am Oldenburgischen Staatstheater gelingt mit ihrer Inszenierung von „De Vörnaam“ (Der Vorname) jedoch das Kunststück, nicht nur sprachlich, sondern auch schauspielerisch eine eigenständige und authentische Version der Geschichte zu erzählen, die keinen Vergleich zu scheuen hat. Dafür gab es bei der Premiere im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters großen Applaus.
Wenngleich „De Vörnaam“ natürlich gut in die Reihe der Kinohit-Adaptionen der Niederdeutschen Bühne passt, bildet tatsächlich das französische Theaterstück „Le Prénom“ (Mathieu Delaporte und Alexandre de la Pattellière) die Vorlage für die 80 dichten, pausenlos durchgespielten Minuten auf Platt. Kerstin Stölting hat die deutsche Fassung von Georg Holzer ins Niederdeutsche übertragen. Und man kann konstatieren: Der bitterböse Humor und die verbalen Schlagabtausche funktionieren in unserer Heimatsprache genauso gut, wenngleich selbst der größte Ausraster auf Platt doch immer noch irgendwie niedlich klingt.
Darum geht’s
Die pointenreiche Handlung erzählt von den großen Konflikten im Kleinen, die einen gemütlichen Abend in einem emotionalen Schlachtfeld enden lassen. Anfangs geht es um die vermeintliche Absicht Christoph Boysens (Kevin Sandersfeld), seinen noch ungeborenen Sohn Adolphe beziehungsweise Adolf zu nennen. Seine Schwester Charlotte Boysen-Blohm (Britta Gurrey) und sein Schwager Paul Blohm (Jakob Dalin) reagieren darauf ebenso verständnislos wie der gemeinsame Jugendfreund Kay König (Eike Schaumburg). Als Christophs schwangere Freundin Anna Schulze (Nadine Woinke) hinzukommt, erreicht der entbrannte Streit eine neue Dimension. Die gutbürgerliche Fassade beginnt zu bröckeln, Vorwürfe, unausgesprochene Enttäuschungen und das, was man so lang – aus gutem Grund – für sich behalten hat, stehen plötzlich als irreversible Manifestation im Raum. Kein Wunder, dass irgendwann nicht mehr nur verbal die Fäuste fliegen.
Die Inszenierung
Es ist eine Freude, dem fünfköpfigen Ensemble dabei zuzusehen, wie es in diesem temporeichen Kammerspiel unter der Regie von Martin König die bestehende Ordnung dekonstruiert. Jakob Dalin gibt den Literaturprofessor Paul Blohm als versnobten Elfenbeinturmbewohner, Britta Gurrey brilliert als hin- und hereilende Ehefrau, stets bemüht, es allen recht zu machen. Kevin Sandersfeld spielt den Paul herrlich überdreht als von sich eingenommenen Yuppie, während es Nadine Woinke als trotz Schwangerschaft paffende Anna auch nicht mehr gelingt, das fragile Personengefüge zusammenzuhalten. Der Ruhepol ist zunächst Eike Schaumburg als Kay König, doch auch er hat einiges auf dem Herzen, das raus muss. Das Quintett ist wunderbar aufeinander eingespielt und treibt die Handlung mit großer Verve in Dialogen voran, die wie Sektkorken knallen. Die Handlung ist gespickt mit mehreren lokalen Bezügen, die zwar charmant sind, die es aber nicht unbedingt gebraucht hätte. Das schlichte, aber mondäne Bühnenbild von Britta Langanke, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, lässt sich ebenso schön zerlegen wie die letzten Gewissheiten.
Fazit
Kurzum: Auch wer etwa den Film „Der Vorname“ in Starbesetzung mit Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz und Co. kennt, wird „vööl Pläseer“ an „De Vörnaam“ haben, passt die Geschichte von der viel zu schnell überkochenden Debattenkultur doch ziemlich gut in unsere Zeit. Leider ist der Spaß nach 80 Minuten auch viel zu schnell zu Ende. Man wünscht, alle würden sich noch einmal in die Plünnen kriegen.
Weitere Termine unter www.staatstheater.de
aus: NWZ ONLINE Dennis Schrimper/ Foto: Stephan Walzl