Skurrile Figuren, Musik und ganz viel Platt: Das sind die Zutaten für „Hunnert. Dat Jubiläumsspektakel“, das nun am Oldenburgischen Staatstheater Premiere feierte. Dem Publikum wurde einiges geboten.

Illustre Partygesellschaft: Am Königshofe lässt man 100 Jahre niederdeutsches Theater in Oldenburg Revue passieren.

Angesichts der besorgniserregenden weltpolitischen Lage kommt dieser Theaterabend wie ein Geschenk, ja, wie eine Umarmung daher; ein Abend, der den Zuschauer nicht nur bestens unterhält, sondern ihn mit einem warmen Gefühl nach Hause gehen lässt. Genau das schafft „Hunnert. Dat Jubiläumsspektakel“, das nun im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters Premiere feierte. Die Bezeichnung Spektakel trifft es dabei ziemlich genau, denn das Gebotene geht über einen plattdeutschen Theaterabend weit hinaus. „Hunnert“ ist eine bunte Revue als Hymne an Land und Leute und vor allem an unsere charaktervolle Heimatsprache, die zwischen „Döspaddel“ und „Schietbüdel“ so viel Schönes zu bieten hat.

Worum geht’s

Vor 100 Jahren, im Jahr 1923, wurde die Niederdeutsche Bühne (hervorgegangen aus der Späälkoppel des Ollnborger Krings) an das ehemalige Oldenburgische Landestheater (jetzt Staatstheater) angebunden – das war der Beginn einer besonderen Kooperation, die bis heute anhält. Inzwischen sind die Inszenierungen der August-Hinrichs-Bühne, wie sie seit 1939 heißt, nicht mehr aus den Spielplänen des Staatstheaters wegzudenken. 

„Hunnert“ trägt dieser Erfolgsgeschichte mit einer märchenhaften Handlung Rechnung: Wir erleben die Vorbereitungen bei Hofe zur Geburtstagsfeier des Königs (Herwig Dust), der zu diesem besonderen Anlass das Zepter an seine 50-jährige, allerdings noch nicht zu Ende pubertierte Tochter Brigitte von Hude (Silke Freese) weitergeben möchte. Wenn er das Zepter nur wiederfinden und sie endlich einen Gatten für sich auftreiben könnte… Seinem Sohn Prinz Bernd-Wilhelm von Elsfleth (Patrick Schönemann) passt das alles gar nicht in den Kram, er sähe sich lieber selbst auf dem Thron. 

Damit ist die Handlung, für die Marc Becker als Autor (und Regisseur) verantwortlich zeichnet, eigentlich auch schon vollumfänglich umrissen. Sie ist indes nur der Rahmen, das Vehikel für die schillernden, immer mehr an Profil gewinnenden Figuren, von denen die Handlung lebt. Dazu zählen unter anderem die Königin (Melanie Lampe), ein Sprachpfleger mit erstaunlichem Talent für Zungenbrecher (Benno von Minden), ein Koch (Björn Müller), ein Hofnarr (Thorge Cramer), ein mehr oder weniger technikbegabter Hofnerd (Tammo Poppinga), Sabbelmann (Pascal Oetjegerdes) und viele Gäste. 

Musik und mehr

Doch was wäre ein Geburtstag ohne Musik? Oliver Kurth, Helge Lorenz und Tammo Poppinga sorgen an Gitarre und Akkordeon für eine abwechslungsreiche Party-Playlist mit viel Lokalkolorit. Neben mitreißenden Klassikern wie dem Lied von „Herrn Pastor sien Kauh“ und dem Bottermelk-Tango von Hannes Flesner entstehen zarte, berührende Momente etwa mit dem melancholischen „Min Jehann“ oder dem gesummten „Fresenhof“ von Knut Kiesewetter. Videoeinspielungen mit Werbeunterbrechungen sorgen für weitere Kurzweil. 

Besonders gelungen ist der betont selbstironische Parforceritt durch 100 Jahre plattdeutsches Theater. Dabei werden abendfüllende Stücke im Spannungsfeld zwischen Kuhstall, Kornbuddel und Kittelschürze wie „Dat Schattenspel“ (von Hermann Boßdorf) – das erste Stück der Niederdeutschen Bühne überhaupt – oder August Hinrichs’ „För de Katt“ zu brillant verknappten Resümees verdichtet, die den Darstellern große Lacherfolge sichern. 

Fazit

Viel Herzblut ist in diese Inszenierung gesteckt worden. Das ist nicht nur an den opulenten Kostümen und dem Bühnenbild (Sandra Münchow zeichnet für beides verantwortlich) abzulesen. Das Ensemble – zeitweise vergisst man, dass Laien auf der Bühne stehen – spielt mit einer Professionalität auf, die den stürmischen Applaus mehr als rechtfertigt. Dass die Geburtstagsparty nie in Klamauk abdriftet, sondern immer unaufgeregt norddeutsch bleibt, ist sehr wohltuend.

Wer noch kein Freund der plattdeutschen Sprache ist, dürfte es spätestens nach dem Besuch von „Hunnert“ sein. Sprache verbindet, Sprache ist Heimat – und genau dieses Gefühl transportiert die Inszenierung. 

Der stürmische Applaus am Ende darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fortbestand der plattdeutschen Sprache kein Selbstläufer ist. Sie muss gelebt werden, um nicht weiter an Bedeutung einzubüßen. Wie das geht, macht die August-Hinrichs-Bühne glänzend vor. Das ist „heel wat Besünners“. 

Weitere Aufführungen von „Hunnert“ sind am 23. und 29. Oktober, am 4., 11., 17., 21., 23., 26. November, am 4., 9., 11. und 21. Dezember. Karten und weitere Infos gibt es unter Tel. 0441/222511 sowie unter

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aus NWZ Online 23.10.23 Dennis Schrimper, Foto: Stephan Walzl